Ich kam vor einem Jahr in die Schweiz, deshalb besuche ich noch den Deutschkurs und kann noch nicht arbeiten. Zuhause, in Kabul, hatte ich Wirtschaft studiert. Ich musste das Studium abbrechen und fliehen, weil die Taliban die Stadt übernommen haben. Das wird in naher Zukunft keine Besserung geben. Meine Mutter und meine Schwester sind noch in Afghanistan. Es war zu gefährlich für sie, zu fliehen. Sie können nichts machen - nicht arbeiten, nicht lernen, eigentlich nicht mal das Haus verlassen. Sie haben keine Rechte mehr. Das ist kein Leben. Ich finde, Frauen sollten die gleichen Freiheiten haben, wie wir Männer. Sie sollten leben können.
Ali, 22: Aus Kabul geflohen
Ich bin Priorin, das heisst, ich leite ein Kloster. So ein Amt sucht man nicht. Ich habe mich nicht beworben oder Mitschwestern um mich geschart, damit sie mich wählen. Auch gab es keinen Wahlkampf. Die Mitschwestern entscheiden gemeinsam, wen sie sich vorstellen könnten und schlussendlich bestimmt immer der Heilige Geist. Ich war Kindergärtnerin und Mitte 20, als ich mir die Frage stellte: Entwicklungshilfe oder Kloster? Es war etwas in mir, dass mich nicht losliess, der Wunsch ein Leben nach den Regeln des hl Benedikt zu leben. Das Durchgetaktete des Alltags gibt Halt und Freiraum für andere Dinge.
Sr Mattia, 62: Priorin Kloster Heiligkreuz
Mir ist es wichtig, dass es allen gut geht, mein Gerechtigkeitsempfinden ist stark ausgeprägt. Nach meinem Jus-Studium habe ich gemerkt, dass ich in einem Bereich arbeiten möchte, in dem der Mensch zentral ist. Als Bewährungshelferin unterstütze ich Menschen dabei, nicht wieder straffällig zu werden. Wichtig ist es dabei immer die Person vom Verhalten zu trennen. Das kriminelle Verhalten ist zu verurteilen, aber da ist immer auch noch ein Mensch dahinter. Ich halte meine Arbeit für sehr sinnvoll, denn wenn man in diesem Bereich etwas verändern kann - dann so: mit Gesprächen und Hilfestellungen. Wenn ich verhindern kann, dass auch nur ein Mensch wieder kriminell wird, dann ist das bereits ein Erfolg.
Vanessa, 42: Bewährungshelferin
Meine Mutter ist Kenianerin, mein Vater stammt aus dem Kongo. Wir sprechen zuhause Suaheli. Ich spreche auch deutsch, englisch und französisch. Meine Eltern sind hierher gezogen, weil sie für uns eine besser Zukunft wollten. Meine Mutter ist Muslimin, mein Vater Christ. Meine Schwester hat sich für den Islam entschieden, ich mich für das Christentum - unsere Eltern haben uns den Entscheid überlassen. Ich habe in der Schweiz wenig Rassismus erfahren. Ich bin in Schwamendingen aufgewachsen, wo es viele Ausländer hat.
Herve, 22: Als Schwarzer unter Weissen
Als Frau bin ich immer noch eine Ausnahme in dem Beruf. Ich arbeite an einem Handelsdesk und denke, dass Frauen durchaus anders traden, ich denke spezifischer, was durchaus Vorteile mit sich bringen kann. Meine Arbeit ist sehr schnelllebig und teilweise auch etwas härter im Umgangston, sie ist gleichzeitig aber auch belebend und spannend. Als Händlerin muss man stets konzentriert, fokussiert und gut informiert sein. Unter Männern sein, kenne ich bereits vom Studium. Ich schloss an der ETH Geophysik ab und entschied mich danach zusätzlich die Ausbildung zur Händlerin zu machen, da ich nach einer agilen Arbeit gesucht habe, die nahe am Zeitgeschehen ist.
Xenia, 30: Traderin - der Traumjob
Ich bin eine Macherin. Wenn ich mich einmal für etwas entschieden habe, dann gehe ich All-In. So ist es aktuell auch am morgen früh, wenn der Wecker klingelt: Wenn das Bett schön warm und weich ist, ich aber zum Training gehen sollte. Dann gehe ich, ich überlege nicht zwei Mal. Reden sollte man dann aber noch nicht mit mir, etwas grummelig bin ich frühmorgens schon. Ich sitze zwar im Rollstuhl, aber das ist nicht zentral - darüber will ich mich nicht definieren. Ich bin Frau und Spitzensportlerin. Ich bin Siegerin der Junioren WM und Teilnehmerin an den paralympischen Spielen.
Nalani, 24 Paraolympia-Teilnehmerin: Spitzensportlerin Tennis
In Syrien aufzuwachsen, bedeutete, immer vorsichtig sein zu müssen, was man sagte, was man dachte. Mein Vater brachte uns früh bei, dass es besser war, unauffällig und angepasst durchs Leben zu gehen, damit man nicht eines Tages in einem Gefängnis landete. 2011 floh ich aus Syrien über die Türkei in die Schweiz. Rassismus erlebte ich vor allem in Syrien, meiner Heimat. Ich bin Kurdin und hatte Angst, zu meiner Identität zu stehen. In der Schweiz empfinde ich Kurdin zu sein, als Schutz. Für die Kurden wird es in Syrien wohl nie besser werden. Am 8.12.2024 hatte ich ein komisches Gefühl, als ich in den Nachrichten all die bärtigen Männer als «Befreier» des Landes sah. Warum ist Frieden und Menschenliebe nur so schwierig? Ich bin verheiratet, wir haben drei Kinder und bringe ihnen Respekt und Toleranz bei. Jeder muss bei sich anfangen.
Amira, 36: Syrerin
Ich bin Sozialpädagogin mit Ethik-Studium, war in meinem ersten Leben Pflegefachfrau und Stationsleiterin. Ich habe zudem einen Master in Sexologie und arbeite heute für das eff-zett das Fachzentrum im Bereich sexuelle Bildung. Ich freue mich darüber, dass der weibliche Körper aktuell besser erforscht wird. Bis anhin ging man für alles - von der Fahrzeugsicherheit bis zu den Schmerzmitteln - vom männlichen Körper aus. Es ist an der Zeit, mit alten Ammenmärchen und Mythen aufzuräumen - wie zum Beispiel, dass das "Jungfernhäutchen" anzeige, ob eine Frau schon Geschlechtsverkehr hatte. Auch dass die Menstruation etwas unsauberes ist - und man darum "Hygieneartikel" braucht, ist falsch. Wissen ist befreiend, befähigend und es macht mir Freude, dieses weiter zu geben. Gerade in der Arbeit mit Jugendlichen sind die Diskussionen spannend und es ist für mich wichtig, dass die jungen Menschen ihren Körper kennen lernen und so auch besser selber darüber bestimmen können.
Simone, 46: Sexualtherapeutin
Man sieht mir meine Religion nicht an. Ich bin traditioneller Jude. Im Judentum gibt es unterschiedlichste Strömungen - von orthodox bis liberal, wo es auch Rabinerinnen gibt. Und doch werden alle Juden in einen Vorurteilstopf geworfen. Seit hunderten Jahren hält sich der Antisemitismus hartnäckig. Waren früher die Juden für die Pest beschuldigt, waren sie es jüngst bei Covid. Ich bin in Zürich geboren und in der Mitte meiner Ausbildung zum Sekundarlehrer an der PH in Zürich. Als ich letztes Jahr Stellvertretung an einer öffentlichen Schule in Zürich gab, sagte ich zu den Schülern: Ich habe einen jüdischen Gast für euch eingeladen, überlegt euch Fragen, die ihr ihm stellen möchtet. Dann ging es los, sie lachten und überlegten sich laut Fragen: wann der Jude das letzte Mal geduscht habe, wann er das letzte Mal Zug gefahren sei. Sie hatten ein Vorwissen über den Holocaust und verwendeten dieses für ihre Witze. Ich weiss gar nicht mehr, was ich dachte, ich war entsetzt. Ich sagte, ich gehe jetzt den Gast holen, dann kam ich zurück - ich war der Gast. Vielen war es unangenehm und sie entschuldigten sich, einigen war es aber egal. Das ist verstörend und darum ist es so wichtig, über das Judentum und all die Vorurteile zu sprechen.
Ari, 24: Jude
Geboren und aufgewachsen bin ich in Österreich, als Kind türkischer Eltern. Während meines Medizinstudiums in Berlin war ich für die Deutschen – trotz erworbener Staatsbürgerschaft - «der Österreicher». Auch am Kantonsspital Zug, wo ich als Oberarzt der Chirurgie arbeite, will man mich nicht als Deutschen wahrhaben. Für meinen Chef bleibe ich: «der Österreicher», was mich amüsiert. Offenbar ist die Berührungsangst der Schweizer mit Deutschen grösser als jene mit Österreichern – oder Türken. Anders in Deutschland: Als ich mit einer Gruppe Freunde einreiste, wurde ich als einziger gefragt, ob ich deutsch verstehe - dabei war ich auch der einzige mit deutschem Pass. Wenn ich Patienten begrüsse, glaube ich manchmal eine gewisse Verunsicherung zu spüren. «Woher sind Sie?» fragen sie. Wie die Frage gemeint ist, erschliesst sich oft erst aus dem nachfolgenden Gespräch. Manchmal kommt die Frage aus ehrlicher und offener Neugierde. Manchmal will man mich einfach einordnen. Mit meiner Antwort «Deutschland» sind viele nicht ganz zufrieden. Ich glaube, dass Menschen mit einer Migrationsgeschichte sich dann öfter fragen: warum will der das jetzt wissen?
Mustafa, 33: Oberarzt Chirurgie
In meiner Heimat Istanbul gab es keine Möglichkeit als Kurdin die Kultur zu leben und zu pflegen. Mein Vater brachte mir die Sprache, um mich zu schützen, gar nicht bei. Ich studierte in Istanbul Fotografie, arbeitete als Fotografin. Als ich mich für ein freies Kurdistan einzusetzen begann und als eine politisch aktive Frau und Feministin für Frauenrechte kämpfen begann, begann auch mein Leben auf der Flucht vor der Miliz. Ich verlor dabei mein Kind, das war für meinen damaligen Partner und mich der definitive Entschluss, das Land zu verlassen. Mit 25 kam ich als politischer Flüchtling in die Schweiz. Drei Jahre lebte ich im Asylzentrum in Appenzell Innerrhoden. Meine Erinnerung daran? Von den Behörden im Stich gelassen. Für die Bevölkerung durchsichtig. Heute helfe ich als Sozialarbeiterin anderen Migranten sich in der Schweiz rascher daheim zu fühlen. In der Schweiz lebe ich seit 21 Jahren. Mein Partner verliess mich, als ich die zweite Tochter geboren hatte. Seither bin ich alleinerziehend. Ich bin zwar Schweizerin, werde aber immer gefragt: Verstehen sie unsere Sprache? Aus welchem Land kommen Sie? Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht daran erinnert werde, dass ich eine Fremde bin.
Mahperi, 48: Kurdin
Ich war 15 Jahre alt, als ich aus Sri Lanka in die Schweiz kam - über Landwege und Schlepper. Meinen Bruder musste ich vorerst zurück lassen. Meine Tante wohnte in Meggen und dort wurde ich dann auch eingeschult. Ich war das einzige dunkelhäutige Kind. Rassistisch motivierte Angriffe habe ich zuhauf erlebt. Zum Beispiel wurde ich von einem Mitschüler an die Wand geknallt und als Neger beschimpft. Ich liebe Sport und habe da schnell gemerkt: Ich darf einfach nie besser sein als die. Heute bin ich am Luzerner Kantonsspital als Pflegespezialist dafür verantwortlich, dass der richtige Patient im Operationssaal liegt. Ich bereite die Patienten auf ihre Eingriffe vor. Manchmal operiere ich die technischen Geräte, die dabei zum Einsatz kommen. Heute erlebe ich diese offen aggressive Art von Rassismus seltener. Zuweilen gibt es aber doch Patienten, die wegen meiner Herkunft nicht von mir behandelt werden wollen oder Ärzte, die mich wegschicken und sagen: "Organisiere mir jemand, der das kann", ohne dass sie mich oder meine Arbeit kennen würden. Das muss ich akzeptieren. C’est la vie! Wenn du keinen Humor hast, macht das dich kaputt. Ich nehme mir meinen Schwiegervater zum Vorbild: Wird er rassistisch angegangen, dann entgegnet er: «Gute Besserung!» Das sorgt erstmal für etwas Verwirrung, dann dämmerts. Lustig, oder? Meine Ehe wurde arrangiert. Was unsere Familien aber nicht - oder nicht so genau - wissen: Wir haben uns vorher kennen gelernt und verliebt. Wir waren beim offiziellen Kennenlernen schon seit Monaten zusammen. Wir leben mit unseren drei Kindern in Luzern. Wir erziehen sie, so wie wir es für gut halten, mit viel Liebe und Respekt, dabei berücksichtigen wir Elemente aus beiden Kulturen.
Theeban, 42: Sri Lanka
Meine Ex-Frau ist Schweizerin. Kennen gelernt hatten wir uns aber in Costa Rica. Als wir vor 18 Jahren zusammen in die Schweiz kamen, war sie mit unserem Sohn schwanger. Neben Costa Rica habe ich auch in Stockholm gelebt - die europäische Lebensweise war für mich also nicht neu. Ich nehme wahr, dass die Menschen hier sich oft nicht getrauen zu fragen, woher man kommt. Vielleicht weil sie fürchten, dass das eine negative Reaktion zur Folge hätte? Ich bin selbst auch weniger offen geworden, seit ich hier lebe. Ich halte mich zurück, aus Sorge, jemandem auf die Füsse zu treten. Die grösste Herausforderung bei der Integration ist für mich das Schweizerdeutsch, genauer: das Verhältnis der Schweizer zum Hochdeutsch. Ihr lernt von der ersten Primarklasse an Hochdeutsch, ihr versteht es sehr gut und doch spricht es keiner gern. Ich finde, dass das die Integration erschwert. Schweizerdeutsch sprechen zu lernen, sollte prioritär sein. Ich bin Künstler und absolviere aktuell den Master in Art Education, damit ich an der Kanti unterrichten kann. Momentan mache ich ein Praktikum an der Kantonsschule in Aargau. Meine Kinder sind in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Manchmal erzählen sie mir, dass sie wie Ausländer behandelt werden. Ich finde es sehr interessant, wie wir Menschen einer anderen Ethnie oft untereinander nicht unterscheiden können. Ich befasse mich auch mit meiner Kunst genau mit dieser Wahrnehmung.
Hugo, 46: Honduras